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Erschienen in: Ausgabe #1 vom Juli 2003


von Diana Forker

Philosophie anderswo: Pisa, Italien

Philosophiestudium in Italien – das bedeutet vor allem Zuhören, Mitschreiben und Lesen. Es gibt nur Vorlesungen; und steht an einer Veranstaltung doch mal Seminar dran, dann kann man sicher sein, dass es sich trotzdem um eine Vorlesung handelt, die statt von einem Professor von einem Assistenten gehalten wird. Es gibt immer Studentinnen, die mit einem Diktiergerät jedes Wort des Dozenten aufnehmen, und hinterher alles wortwörtlich von Hand abschreiben. Das bietet sich auch an, denn in den Prüfungen, die alle mündlich sind, wird vor allem Auswendiggelerntes abgefragt, ganz ohne Beisitzer. Dafür kann man bei Nichtbestehen oder Unzufriedenheit mit der Note die Prüfung beliebig oft wiederholen. Jedes Jahr gibt es dafür vier vorlesungsfreie Prüfungszeiträume. Die Anmeldung ist ganz unbürokratisch, man geht spätestens am Tag der Prüfung vor neun Uhr ins Institut und schreibt sich auf einer Liste ein. Oder lässt sich durch jemand anders vorher eintragen. Überhaupt waren die Prüfungen für mich fast das Lustigste am Studium. Bei der ersten war ich sehr aufgeregt und hatte mich aufs Genaueste vorbereitet. Die Prüfung dauerte ganze acht Minuten und mir wurden nur zwei Fragen zu einer Monate vorher geschriebenen Klausur gestellt. In der Prüfung zum Kurs „Philosophie der Gegenwart“ wurde ich nach dem Lebenszeitraum des homo erectus gefragt. Und während der Ästhetikprüfung über den späten Wittgenstein entspann sich ein lockeres, z.T. auf Deutsch geführtes Gespräch zwischen dem Professor und mir, in dem er mir u.a. erzählte, dass er vor langer Zeit schon mal in meiner Heimatstadt Erfurt gewesen war. – Wenn man das Thema vorher abspricht, ist alles möglich. Sogar, wie das bei mir der Fall war, sich im Rahmen eines zwei Jahre vorher stattgefundenen Kurses von einem Dozenten prüfen zu lassen, den man vorher noch nie gesehen hat.


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Pisa - auch wegen der Bauhistorie einen Besuch wert


Allerdings lernt man schriftliches Arbeiten überhaupt nicht, da wie gesagt alle Prüfungen mündlich sind, Hausarbeiten völlig unbekannt und Klausuren nur den Kursen Logik und Wissenschaftstheorie vorbehalten. Das lässt viele Studenten bei der tesi, der Magisterarbeit, scheitern. Die Studenten werden mit dem Studium fast allein gelassen, es gibt keine Tutorien oder Übungen oder selbst organisierte Treffen. Jeder liest für sich allein. So viel es mir insgesamt sehr schwer, andere Philosophiestudenten kennen zulernen. Die meisten kamen aus dem Umland und fuhren nach den Vorlesungen gleich wieder heim. In zwei Jahren habe ich es auf zweieinhalb Bekannte gebracht. Zu meinem Glück gab es noch andere Studenten in Pisa.


Das Studium hatte aber auch seine guten Seiten. Da alle Veranstaltungen Jahreskurse sind mit wöchentlich durchschnittlich drei bis maximal fünf Stunden à 45 min beschäftigt man sich über einen längeren Zeitraum intensiv mit einem Thema oder einem Philosophen. Die Vorlesungszeit geht von Mitte November bis Anfang Mai mit einigen Unterbrechungen. Latein und Logik sind keine Pflichtveranstaltungen, sondern Theoretische Philosophie und Moralphilosophie, die jedes Jahr mit veränderten Themen angeboten werden, und eine moderne Sprache. In einem Jahr besucht man vier oder fünf Kurse. Wenn man 19 Prüfungen abgelegt hat, kann man sich zur tesi anmelden. Von meinen Kursen ist mir vor allem Logik und Philosophie der Antike in Erinnerung geblieben. Es ging um Aristoteles Nikomachische Ethik, die der Dozent auf Griechisch vorlas und völlig frei übersetzte und kommentierte.


Das Studium selbst ist ziemlich teuer. Pro Jahr kostet es etwa 800 Euro, dafür kann man im Prinzip nur seine Prüfungen ablegen, denn die Veranstaltungen sind öffentlich und für alles andere (öffentliche Verkehrsmittel, Unisport, Sprachkurse...) muss man extra bezahlen. Als während meiner Studienzeit die Gebühren um ca. 150 Euro erhöht werden sollten, störte das jedoch niemanden, zur Protestdemo waren wir etwa 50 Leute. Ich hatte selber Glück, da ich von den Studiengebühren befreit wurde aufgrund eines Stipendiums, um das sich jeder, der sich in Pisa immatrikuliert, bewerben kann. Die Vergabe richtet sich nach den Noten und dem Einkommen der Eltern. In meinem zweiten Studienjahr beinhaltete das Stipendium sogar den kostenlosen Mensabesuch, später wäre noch ein kostenloser Wohnheimsplatz hinzugekommen. Die Mensa gehört auch zu meinen positiven Erinnerungen. Sie war JEDEN Tag mittags und abends geöffnet, umfasste zum Einheitspreis von 3,60 DM einen ersten Gang, einen zweiten Gang, Beilagen, Nachtisch, Brot und Getränke ohne Beschränkung. Es gab sogar Bier, was aber fast niemand trank.


Nach fast zwei Jahren Pisa und drei Jahren insgesamt in Italien hat es mir trotzdem gereicht. Welche Aussichten auf Arbeit hat man auch mit einem italienischen Philosophiediplom? Viele Italiener versuchen damit, als Lehrer angestellt zu werden. Bei einer geschickten Auswahl der Prüfungen kann man danach außer Philosophie noch Italienisch oder Geschichte unterrichten. Und an einer Grundschule sowieso fast alles.