von Diana Forker
Philosophie anderswo: Pisa, Italien
Philosophiestudium in Italien – das bedeutet vor allem Zuhören,
Mitschreiben und Lesen. Es
gibt nur Vorlesungen; und steht an einer
Veranstaltung doch mal Seminar dran, dann kann man sicher sein,
dass es sich trotzdem um eine Vorlesung handelt, die statt von einem
Professor von einem
Assistenten gehalten wird. Es gibt immer Studentinnen,
die mit einem Diktiergerät jedes Wort des
Dozenten aufnehmen,
und hinterher alles wortwörtlich von Hand abschreiben. Das
bietet sich auch an, denn in den Prüfungen, die alle mündlich
sind, wird vor allem
Auswendiggelerntes abgefragt, ganz ohne Beisitzer.
Dafür kann man bei Nichtbestehen oder
Unzufriedenheit mit der
Note die Prüfung beliebig oft wiederholen. Jedes Jahr gibt
es dafür vier vorlesungsfreie Prüfungszeiträume.
Die Anmeldung ist ganz unbürokratisch,
man geht spätestens
am Tag der Prüfung vor neun Uhr ins Institut und schreibt sich
auf einer Liste ein. Oder lässt sich durch jemand anders vorher
eintragen. Überhaupt waren die
Prüfungen für mich
fast das Lustigste am Studium. Bei der ersten war ich sehr aufgeregt
und hatte mich aufs Genaueste vorbereitet. Die Prüfung dauerte
ganze acht Minuten und mir
wurden nur zwei Fragen zu einer Monate
vorher geschriebenen Klausur gestellt. In der Prüfung zum Kurs
„Philosophie der Gegenwart“ wurde ich nach dem Lebenszeitraum
des homo
erectus gefragt. Und während der Ästhetikprüfung
über den späten Wittgenstein
entspann sich ein lockeres,
z.T. auf Deutsch geführtes Gespräch zwischen dem Professor
und mir, in dem er mir u.a. erzählte, dass er vor langer Zeit
schon mal in meiner Heimatstadt
Erfurt gewesen war. – Wenn
man das Thema vorher abspricht, ist alles möglich. Sogar, wie
das bei mir der Fall war, sich im Rahmen eines zwei Jahre vorher
stattgefundenen Kurses von einem
Dozenten prüfen zu lassen,
den man vorher noch nie gesehen hat.
Pisa - auch wegen der Bauhistorie einen Besuch wert
Allerdings lernt man schriftliches Arbeiten überhaupt nicht,
da wie gesagt alle Prüfungen
mündlich sind, Hausarbeiten
völlig unbekannt und Klausuren nur den Kursen Logik und
Wissenschaftstheorie
vorbehalten. Das lässt viele Studenten bei der tesi, der Magisterarbeit,
scheitern. Die Studenten werden mit dem Studium fast allein gelassen,
es gibt keine Tutorien oder
Übungen oder selbst organisierte
Treffen. Jeder liest für sich allein. So viel es mir insgesamt
sehr schwer, andere Philosophiestudenten kennen zulernen. Die meisten
kamen aus dem
Umland und fuhren nach den Vorlesungen gleich wieder
heim. In zwei Jahren habe ich es auf zweieinhalb
Bekannte gebracht.
Zu meinem Glück gab es noch andere Studenten in Pisa.
Das Studium hatte aber auch seine guten Seiten. Da alle Veranstaltungen
Jahreskurse sind mit
wöchentlich durchschnittlich drei bis
maximal fünf Stunden à 45 min beschäftigt man
sich
über einen längeren Zeitraum intensiv mit einem Thema
oder einem
Philosophen. Die Vorlesungszeit geht von Mitte November
bis Anfang Mai mit einigen Unterbrechungen. Latein
und Logik sind
keine Pflichtveranstaltungen, sondern Theoretische Philosophie und
Moralphilosophie, die jedes Jahr mit veränderten Themen angeboten
werden, und eine moderne Sprache. In
einem Jahr besucht man vier
oder fünf Kurse. Wenn man 19 Prüfungen abgelegt hat, kann
man sich zur tesi anmelden. Von meinen Kursen ist mir vor allem
Logik und Philosophie der Antike in
Erinnerung geblieben. Es ging
um Aristoteles Nikomachische Ethik, die der Dozent auf Griechisch
vorlas und völlig frei übersetzte und kommentierte.
Das Studium
selbst ist ziemlich teuer. Pro Jahr kostet es etwa
800 Euro, dafür kann man im Prinzip nur seine
Prüfungen
ablegen, denn die Veranstaltungen sind öffentlich und für
alles
andere (öffentliche Verkehrsmittel, Unisport, Sprachkurse...)
muss man extra bezahlen. Als
während meiner Studienzeit die
Gebühren um ca. 150 Euro erhöht werden sollten, störte
das jedoch niemanden, zur Protestdemo waren wir etwa 50 Leute. Ich
hatte selber
Glück, da ich von den Studiengebühren befreit
wurde aufgrund eines Stipendiums, um das sich
jeder, der sich in
Pisa immatrikuliert, bewerben kann. Die Vergabe richtet sich nach
den
Noten und dem Einkommen der Eltern. In meinem zweiten Studienjahr
beinhaltete das Stipendium sogar den
kostenlosen Mensabesuch, später
wäre noch ein kostenloser Wohnheimsplatz hinzugekommen. Die
Mensa gehört auch zu meinen positiven Erinnerungen. Sie war
JEDEN Tag mittags und abends
geöffnet, umfasste zum Einheitspreis
von 3,60 DM einen ersten Gang, einen zweiten Gang, Beilagen,
Nachtisch,
Brot und Getränke ohne Beschränkung. Es gab sogar Bier,
was aber
fast niemand trank.
Nach fast zwei Jahren Pisa und drei Jahren insgesamt in
Italien
hat es mir trotzdem gereicht. Welche Aussichten auf Arbeit hat man
auch mit einem
italienischen Philosophiediplom? Viele Italiener
versuchen damit, als Lehrer angestellt zu werden. Bei
einer geschickten
Auswahl der Prüfungen kann man danach außer Philosophie
noch
Italienisch oder Geschichte unterrichten. Und an einer Grundschule
sowieso fast alles.