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Erschienen in: Ausgabe #5 vom Januar 2006


von Tobias Prüwer

Nur eine Frage der Technik?

Ein Blindflug im sozio-technischen Raum

Prämissen des Maschinen-Zeitalters. – Die Presse, die Maschine, die Eisenbahn, der Telegraph sind Prämissen, deren tausendjährige Conclusion noch Niemand zu ziehen gewagt hat.[1]

Technik umrahmt unser tägliches Leben. Zielsicher gehen wir mit allerlei Gerät um und verlassen uns auf dieses, sind manchmal mehr als ratlos, wenn wir vor neuen Apparaturen stehen oder die scheinbar vertrauten ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Was nun hat Technik mit Gemeinschaft zu tun? Technik ist ein Mittel zum Zweck, wozu also das Gefolge von Hammer und Bohrmaschine in das Feld philosophischer Betrachtung stellen? Der Begriff der Technik scheint unproblematisch zu sein; insbesondere heutzutage, leben wir doch im technischen Zeitalter. Fragt man aber, was denn Technik eigentlich ist, verliert sich diese Sicherheit. Dann stellt sich „Die Frage nach der Technik“ (Heidegger). Wer dieser folgt, wird alsbald dem Romantiker- oder Technikfeindverdacht ausgesetzt. Wir möchten diese Frage dennoch stellen und zwar jenseits von Affirmation und Verdammung. Es soll gefragt werden, ob der Begriff von Technik als neutralem Werkzeug die Erfassung der Phänomene unseres technisierten, von Technik und Apparaturen tief durchdrungenen Zeitalters ausreichende Eignung besitzt. Hierzu soll ein kleiner Streifzug durch das weite Begriffsfeld unternommen werden. Dabei wollen wir vom „Technischen“ reden und die Ambiguität, die im Verlauf einer ersten Betrachtung durchaus produktiv sein kann, bewußt in Kauf nehmen. Denn es scheint, daß man dem Phänomen des Technischen nur gerecht werden kann, wenn es nicht nur von einem Punkt her gedacht wird. Aus diesem Grund soll im Folgenden ein solch eindimensionales Unterfangen zugunsten einer Überlegung in mehreren Perspektiven aufgegeben werden, die unter diesen Umständen fragmentarischer Natur ist. Selbstverständlich wird dies Technische nicht als etwas Substanzielles oder Subjekthaftes vorgestellt, sondern dient lediglich zur Zusammenfassung all dessen, was wir für gewöhnlich als technisch betrachten. Selbst wenn dieser Zug etwas künstlich wirkt, so birgt er den Vorteil, einen terminus technicus zu besitzen, der das Fragwürdige des Technischen wahrt, um dessen Bedenken offenzuhalten.

Die jeweilige Antwort auf die Frage, was Technik ist, gibt auch immer zumindest eine Teilantwort auf die Frage, was ist der Mensch, was ist seine Bestimmung.[2]

Ethymologisch wurzelt der Begriff des Technischen im griechischen techné, was praktisches Können, Kunst und Fertigkeit bedeutet. Gemäß dieser Definition umfaßt das Technische das ganze Feld menschlicher Praxen von der Bananenflanke bis zum Schönschreiben. In diesem Sinne ist es zulässig, von der Technik der Künstlerin ebenso zu sprechen wie von der Technik des Rechnens, nicht zu verwechseln mit Rechentechnik. Jene sehen wir eher in datenverarbeitenden Apparaturen implementiert, wie die meisten von uns das Technische fraglos im Reich der Geräte und Maschinen verorten. Das ist der andere Pol der Definition des Technischen: das Werkzeug. In dieser Sicht tritt das Technische als Supplement von Konstruktionen auf, welche quasi als Verlängerung der Gliedmaßen unseren Möglichkeitsspielraum erweitern. Der Bagger verstärkt die Arme, das Fernglas schärft die Augen; in Form von Prothesen ermöglicht das Technische den Menschen das Menschenunmögliche: Wir sind schneller als der Gepard, können Himmel und All durchmessen.

Beide Definitionsangebote scheinen mangelhaft, denn die eine greift zu weit, die andere zu kurz. Ist jede menschliche Fertigkeit technischer Natur, wird das Technische als grundlegend anthropologischer Wesenszug fraglos und das Denken des Technischen gelangt an ein rasches, vielleicht vorschnelles Ende. Dieses Resultat ergibt sich gleichfalls, wenn das Technische schlichtweg als Werkzeug begriffen wird. Hier stellt sich in der einzigen Konsequenz die Frage nach der begrifflichen Demarkationslinie zwischen Menschen und Tieren, von denen einige schließlich auch ganz wunderbar werkzeughaft mit Steinen und Ästen zu hantieren vermögen.

In diesem Spannungsfeld zwischen menschlicher Fertigkeit und Gerätschaft gibt es auch den Versuch einer Vermittlung. Hier wird das Technische begriffen als in Artefakten und Apparaten eingebettete Intelligenz, als „the application of organized knowledge to practical tasks by ordered systems of people and machines.”[3] Vor dem Hintergrund, daß wir – wie man sagt – in einer Wissensgesellschaft leben, in welcher Informationen mehr und mehr an Bedeutung gewinnen, könnte dies eine griffige Arbeitsdefinition sein. Denn sie schränkt das Technische nicht auf rein materiell Applizierendes ein und trägt auch dem Aspekt des Könnens im Sinne des Verstandesgebrauchs Rechnung. Der Wehrmutstropfen dieser Konzeption: Das Technische wird mit dem Begriff „Technologie“ gleichgesetzt. Dieser geschickte Schachzug ist vor allem im angelsächsischen Raum vorgenommen worden, in welchem Technikphilosophie im allgemeinen als „Philosophy of Technology“ firmiert. Ob damit das Technische adäquat begrifflich gefaßt wird, bleibt insbesondere angesichts des vagen Status der eingebetteten Intelligenz offen.

Bisher ist das Technische nur als Mittel in den Blick geraten, und allein zweckrationalen Überlegungen unterworfen. Ein vierter theoretischer Versuch stellt diesen Fokus in Frage und gedenkt voran genannte Konzeptionen zu unterlaufen, indem es das Technische als eine Perspektive ausweist der Welt gegenüberzutreten. In diesem Ansatz werden die Formen menschlichen Kulturschaffens, wie zum Beispiel die Kunst, als verschiedenartige aber gleichrangige Paradigmen gesehen. Das Technische ist demnach eine Weltsicht unter vielen, eine Weise die Welt zu sichten unter dem Gesichtspunkt der Machbarkeit und des Produzierens. Dieses Konzept scheint die Mängel der anderen Begriffsversuche einzufangen, steht und fällt aber mit der Schlüssigkeit seines pluralistischen Ansatzes. Da es aber als einziges Konzept versucht, das Technische explizit kulturell und sozial zu denken, werden wir hierauf an späterer Stelle noch einmal zurückkommen.

II

Dem Technischen wird häufig vorgeworfen nicht „natürlich“ zu sein. Dieses Argument stammt insbesondere aus ökologischen Diskursen. Hier wird eine Dichotomie entworfen, die auf der einen Seite eine „reine“ Natur beschwört und im Gegenzug das Technische als „künstlich“ verteufelt, und welche als illegitim abzuweisen ist. Selbstverständlich ist der Gesichtpunkt der Umweltzerstörung eine sehr ernst zu nehmende Gefahr, aber nichts typisch modern Technisches. Diese hat der Mensch auch ohne Atomkraftwerk und Öltanker schon gekonnt in Szene gesetzt; man wende sich nur der seit der Antike verkarsteten Mittelmeerküste zu. Darüber hinaus ist unklar, was hier „Natur“ bedeuten soll, schließlich steht der Mensch als Kulturwesen zu dieser immer in einem begrifflichen Gegensatz. Will man hier Natur einen intrinsischen Wert zuschreiben und sich nicht in vagem metaphysischem oder esoterischem Gefilde bewegen, steht man auf dünnem Boden. Gibt es so etwas wie Natur per se, als ein Ding an sich selbst oder ist dieses Naturverständnis nicht auch nur ein Konstrukt? Zwar ist für uns das Naturerlebnis ein ästhetisches, aber das war nicht immer so. Im Mittelalter zum Beispiel waren Gebirge keine willkommene Aussicht, sondern wurden im Gegenteil als bedrohlich und ominös angesehen. Ihr ästhetisches Wohlgefallen wurde erst im 19. Jahrhundert „entdeckt”, was nicht überraschend ist, denn im Prozeß der Industrialisierung wuchs das Technische in eine neue Dimension, wurde zur menschlichen Umwelt, neuen natürlichen, weil alltäglichen, Lebenswelt. Im Zuge der neuen Künstlichkeit wurde Natur nur idealisiert, was sie fernab von der materiellen Existenz von Bergen und Wäldern nicht davon löst, kontaminiert zu sein von kulturellen und sozialen Verhältnissen. Im übrigen reproduziert die Rede von „reiner Natur“ und ihrer „Jungfräulichkeit“ nur jenen Weiblichkeits-Natur-Code, der seitens patriarchaler Strukturen häufig genug zur eigenen Machtpräsentation benutzt wird.

III

Dem Technischen wird gemeinhin mit Affirmation oder Ablehnung begegnet. Einerseits als Befreier gefeiert, die Menschheitsträume einlöst und fortwährend den Lebensstandard erhöht, wird es auf der anderen Seite verdammt als Übel, das zu Uniformität des Lebens und Entfremdung führt. Beiden Aspekten kommt ein Körnchen Wahrheit zu, aber sie verkennen gemeinsam, daß vom Technischen als eine Art Ding an sich zu sprechen wenig sinnvoll scheint. Dieses steht dem Menschen nicht einfach gegenüber, sondern in einem Verwendungszusammenhang, der ihm jeweils einen intrinsischen Wert zuweisen. Das Technische ist immer schon in unserer Kultur eingebettet und kann deshalb gar nicht neutral in sich selbst sein, von Werten abgestreift vorgestellt werden. Ein an das Technische herangetragene „let me see you stripped“ ist unerfüllbar:

[E]mbedded in every tool is an ideological bias, a predisposition to construct the world as one thing rather than another, to value one thing over another, to amplify one sense or skill or attitude more loudly than another.[4]

Es gibt keine menschliche Kultur, die frei ist vom Technischen. Kultur gründet immer auch schon im Technischen oder das Technische in der Kultur. Damit ist es je schon sozial konfiguriert und kann somit nicht wertneutral sein, wie die ApologetInnen gern bekräftigen. Ein Argument für die VerteuflerInnen ist es allerdings auch nicht. Daß das Technische nicht wertneutral ist, heißt schlichtweg, es in Relation zum Sozialen zu sehen, denn längst schon läßt sich der gesellschaftliche Raum als soziotechnischer charakterisieren. Das Technische ist immer in einen Verwendungszusammenhang gebettet, der sozialer Natur ist, eingebunden. Jede faktische Ausprägung des Technischen trägt stets ein Normierungsgebot in sich, ist durch besondere Prämissen vorstrukturiert, seien sie Weltanschauungen, Lebensstil oder Geschlecht. Das zeigt sich schon am oft bemühten „Ottonormalverbraucher“, welcher schließlich nichts anderes ist als das Synonym für: männlich, weiß, Mittelklasse. Und warum zum Beispiel gibt es Jahrzehnte nach der Entwicklung der Pille für Frauen noch immer keine wirklich funktionierende für den Mann?

Wie alles menschliche Handeln so zielt auch das Technische darauf, die Welt zu interpretieren. Ihm wohnt eine Weltsicht inne, ein spezifischer Zugang, die Welt zu verstehen. So wie das Technische die Erfahrung transformiert, übt sie gleichfalls einen Einfluß auf die kulturelle Wahrnehmung aus. Wir wollen uns deshalb dem Verwendungszusammenhang zuwenden, in welchem das Technische steht, seiner Eingebettetheit in Kultur und Gesellschaft. So soll im Nachfolgenden das Technische befragt werden nach seiner Relation zur ökonomischen Dimension, in Bezug auf Abhängigkeitsverhältnisse und nach der menschlichen Adaption und damit der Einwirkung auf die Lebenswelt. Diese Aspekte sind natürlich miteinander verzahnt und werden hier aufgrund der Einsehbarkeit – quasi aus technischen Gründen – nacheinander betrachtet.

IV

Aber wenn man einem Volk durch Reklame Kaugummi angewöhnen kann, warum nicht auch Krebsforschung und Raumsonden?[5]

Wir leben in einer Technokultur, „which intimately interconnects science and technology with industrial capitalism.”[6] Damit öffnet sich in der Frage nach dem Technischen auch eine ökonomische und eine politische, beziehungsweise eine ökonomisch-politische Dimension. In dieser spielt für gewöhnlich der Begriff der Macht eine Rolle. Die Frage nach dieser macht in bezug auf das Technische als Ganzes selbstverständlich keinen Sinn, denn als menschliche Kulturleistung haben begrifflich alle Menschen an ihm teil. Betrachtet man aber den Aspekt der Apparaturen und des technischen Wissens, dann trifft man auch hier auf „the old problem of the many under the domination of a few:

industries which have accumulated political and economic power through the development, marketing and use of technology are out of the control of individuals and their governments.[7]

Technologien zu besitzen, zu entwickeln und einzusetzen bedeutet in einer Machtposition zu sein. Das schlägt sich in der zunehmenden Monopolisierung von Wissen bis hin zur Patentierung genetischer Codes nieder, ist dokumentiert durch hoch komplizierte Sicherheitssysteme und elitäre Zugriffshierarchie. Besonders deutlich wird dieser Aspekt anhand der Versorgungsindustrien, die zum Beispiel Kraftstoff oder Elektrizität produzieren. Auch auf der Ebene der internationalen Politik zeigt sich eine Verbindung von Macht und dem Technischen. So wird dieses im Namen der Entwicklungshilfe oder im Zuge von Embargos als Druckmittel verwendet. Ferner läßt sich die Macht des Technischen einsehen an der Art, wie der Besitz von Nukleartechnik die Art der internationalen Politik verändert, wie der Diskurs um die plötzlich zu Atommächten gereiften Länder Indien und Pakistan zeigte.

...den Zweck, die Ursachen des Naturgeschehens zu ergründen, die geheimen Bewegungen in den Dingen und die inneren Kräfte der Natur zu erforschen und die Grenzen der menschlichen Macht so weit auszudehnen, um alle möglichen Dinge zu bewirken.[8]

Seit Anbruch der Neuzeit wurde das Technische ausgewiesen als Instrument die Lebensverhältnisse zu verbessern. Diese Vorstellung hält an und technischer Fortschritt im Namen der allgemeinen Wohlfahrt ist politisch wie ökonomisch gewollt. Den bescheidenen Interpretationsleistungen bezüglich der Begriffe des „guten Lebens“ und „Fortschritts“ zum Trotz wird unermüdlich Neues entwickelt und produziert. „Erkenntnisproduktion zur Produktionssteigerung“ lautet die Formel der Hochzeit von Ökonomie und Wissenschaft. Sie hat sich insbesondere im Bereich technischer Innovationen gebärfreudig niedergeschlagen. Im „gigantischen Weichselzopf ökonomisch-intellektueller Verfilzungen“[9] hat das Technische einen fruchtbaren Nährboden gefunden. In einem erstaunlichen Wechselverhältnis ziehen Erfindungen Nutzen aus wissenschaftlicher Forschung, während diese auf technischen Apparaten basiert. Und die ökonomische Perspektive bestimmt die Richtung von Entwicklung und Forschung. Weil man es kann, wird etwas produziert, Wünsche und Bedürfnisse erzeugt, um Absatzmärkte aufzutun. Das Technische verliert den Status des reinen Mittels zum Zweck und dieses Verhältnis tritt in neuer Gestalt auf, ist „dialektisch-zirkulär“:

Zwecke, die zunächst und vielleicht zufällig durch Tatsachen technischer Erfindung erzeugt wurden, werden zu Lebensnotwendigkeiten, wenn sie erst einmal der sozialökonomischen Gewohnheitsdiät einverleibt sind, und stellen dann der Technik die Aufgabe, sich ihrer weiter anzunehmen und die Mittel zu ihrer Verwirklichung zu vervollkommnen.[10]

Selbstverständlich läßt sich in einer gewissen Hinsicht davon sprechen, daß das Technische das Leben verbessert, vereinfacht, verlängert hat. Gleichzeitig muß aber die stetig zunehmende technische Einflußnahme auf alle persönlichen und gesellschaftlichen Bereiche betont werden. Zum Beispiel hat der sogenannte „technologische Fortschritt“ mehr Arbeitsplätze vernichtet als geschaffen und das ist in ökonomischer Perspektive nur folgerichtig. Gesellschaftspolitisch ist diese Entwicklung vielleicht anders zu bewerten, selbst wenn es sich bei den entfallenen Beschäftigungen gewiß nicht um Traumberufe gehandelt hat. Denn der entwicklungsmotivierende Traum vom Schlaraffenland, in dem nur die Maschinen arbeiten und sich alle Menschen in poetischen Freuden ergehen, scheint in Bälde noch nicht umsetzbar zu sein. Derweil dreht sich das ökonomische Glücksrad und wirft all jenes – vorzugsweise Technisches – auf den Markt, das sich als kommerzialisierbar, weil konsumierbar, erweist. Diesem Prozeß wohnt die Veralterung der Produkte wesentlich inne, weil es ein Charakteristikum technischer Erzeugnisse ist, übertroffen zu werden. Der Kunde Mensch darf sich an den immer neuen Errungenschaften erfreuen und Kants „Ewigen Frieden“ in fortwährender Konsumspirale verwirklicht erfahren. Mag die Aufklärung die Welt tatsächlich entzaubert haben, so hat sich an die Leerstelle von Mythos und Religion der kalkulierende Verstand selbst gestellt. Und mit ihm ein naiver Fortschrittsglaube, der zum herrschenden Denkparadigma gerierte und allein durch zwanghaft vorangetriebene Technisierung und Durchrationalisierung seine Legitimität suggeriert.

V

Menschen haben geurteilt, ein König könne Regen machen; wir sagen, dies widerspreche aller Erfahrung. Heute urteilt man, Aeroplan, Radio etc. seien Mittel zur Annäherung der Völker und Ausbreitung von Kultur. [11]

Das Technische besitzt planetare Ausbreitung und scheint alle Bereiche tief durchdrungen zu haben. Im Anschwellen der vom Technischen konstituierten Interdependenzketten ist kein Ende abzusehen. Die allumspannenden technischen Netzwerke werden manchen zum Zeichen unserer Ohnmacht. Das Technische ist zur Institution geworden, hat Institutionen ausgeprägt, die von einzelnen oder Gruppen nicht zu steuern sind. Ferner haftet dem Technischen ein Moment des Unausweichliches an. Wußte Daidalos noch um die Gefahr seiner Erfindung – auch wenn sein Sohn diese nicht ernst nahm –, so sind uns heute die oft irreversiblen Konsequenzen nicht mehr überschaubar. Es scheint, als habe die Befreiung des Menschen von Naturzwängen durch das Technische andere, eben Zwänge des Technischen geboren. „Die Dienstfunktion verwandelt sich in eine Herrschaft eigener Art, nämlich in Technokratie.“[12] Sowohl die vorhergesagten apokalyptischen Szenarien zur Jahrtausendwende, als auch die unzähligen Anstrengungen diese zu verhindern zeigen, wie sehr wir von Technologie abhängen. Selbstverständlich können viele Negativeffekte einer Technikeinführung durch technische Lösungen neutralisiert werden. So wie die Wellen der Vogelgrippe zur medizintechnischen Aufgabe wurden, welche sich nur deshalb entstehen und rasch in Südostasien ausbreiten konnten, weil sich dort ein Wechsel zur modernen agrarischen Industrie vollzieht. Wenn aber eine Power-Point-Präsentation in einer UN-Versammlung ausreicht, Argument genug ist einen Krieg vom Zaun zu brechen, gewinnt unsere Dependenz vom Technischen etwas Gespenstisches.

Um ein Beispiel zu geben, wie sehr das Technische die Gesellschaft formen kann, braucht man nur an den enormen Einschlag denken, den die Erfindung des Automobils gehabt hat: Straßen mußten gebaut und Landschaften restrukturiert werden; neue Industriezweige erwuchsen, wie die Ölindustrie, welche zu einer der mächtigsten Lobbys weltweit wurde; administrative Institutionen wurden gegründet, die beschäftigt sind mit der Registrierung von Fahrzeugen und Haltern, Versicherungen und Straßenbaubürokratie; ein zusätzlicher Sektor um Steuern zu verwenden tat sich auf; und in Form von Verkehrsunfällen – von Umweltverschmutzung und -zerstörung gar nicht zu sprechen – zeigte sich eine neue Gefahr für das tägliche Leben. Rilke schrieb über das Paris der Zwanziger Jahre:

Die absurde Gefahr der Straßenübergänge verändert die freie und eben auch irgendwie ländliche Beweglichkeit, in der man sich sonst gehen lassen durfte, man ist wirklich zwanzig bis hundert Mal täglich, sowie man das Trottoir verläßt, ein zum Tode Verurteilter, der dann immer im letzten Moment durch einen agent de ville seine vorläufige Begnadigung erfährt.[13]

VI

Ich wollte, ich wäre ein Turmkran. [14]

Wir hausen in technomorpher Umgebung. Versteht sich der Mensch immer aus seiner Lebenswelt heraus, dann muß das Technische als solcherlei Medium gedacht werden, denn wir haben uns im Technodrom eingerichtet. Welcherart nun ist diese Weltauslegung und wie schlägt sie sich im menschlichen Selbstverständnis nieder?

Dem Technischen unterliegt ein totalisierender Wesenszug, die Tendenz, alles dem technischen Zugriff auszuliefern, unter die Nutzungsperspektive zu stellen. Diese Tendenz spricht Heidegger an, wenn er vom „Ge-stell“ raunt. Für ihn hat sich in unserem Zeitalter „eine Umwälzung aller maßgebenden Vorstellungen“ vollzogen:

Daraus erwächst eine völlig neue Stellung des Menschen in der Welt und zur Welt. Jetzt scheint die Welt wie ein Gegenstand, auf den das rechnende Denken seine Angriffe ansetzt, denen nicht mehr soll widerstehen können. Die Natur wird zu einer riesenhaften Tankstelle, zur Energiequelle für die moderne Technik und Industrie.[15]

Die hegemoniale Stellung der technischen Weltauslegung blendet andere mögliche Weltzugänge aus. Unter diesem Paradigma der Exploration verwandelt sich das soziale Gesichtsfeld in ein technisches Raster, in welchem die ganze Welt, die Menschen inbegriffen, als Ressourcenquelle erscheinen. Vom Technischen durchwaltet schlagen wir alles seinem Herrschaftsbereich zu: die Welt, die Natur, unsere Lebenswelt, uns selbst: Wir sprechen von Rohstoffgewinnung, wenn wir eigentlich die Umwelt zerstören, oder von Arbeitskraft und Humankapital und meinen eigentlich Menschen. Das Technische ist das vornehmliche Medium menschlicher Selbstauslegung geworden; wir ordnen unser Weltbild nach den Kategorien eines technisch-wissenschaftlichen Rahmens. In diesem Modus ist Effektivität der höchste Wert, das Maß, dem alles unterliegt. Diese Reduktion auf die Ebene des Funktionierens führt zur lebensweltlichen Eindimensionalität. Im täglichen Sprachspiel zumindest hat sich La Mettries lapidarer Befund durchgesetzt: „Der Mensch eine Maschine“. Im „Walten und Schalten“ „funktionieren“ wir, arbeiten manchmal im „Leerlauf“, fehlt uns der „Antrieb“, oder sind komplett „ausgebrannt“. Wir quantifizieren Charakter und Intelligenz, um diese auch den Apparaten zuzuschreiben.

Die Subjekte des technischen Fortschritts sind auch zu seinen Objekten geworden. Denn mit diesem geht die Adaption des Menschen einher, denn es scheint leichter zu sein, jenen an das Technische anzupassen als vice versa. Weil moderne Technologien auf numerischen Codes basieren, müssen wir uns unzählige Zahlenfolgen merken, obwohl unser Gedächtnis gerade mit diesen die größten Probleme hat. Und wer weiß heute noch, daß in der uns so vertrauten Buchstabenanordnung der QWERTY-Tastatur die gebräuchlichsten Buchstaben gerade deshalb am weitesten auseinanderstehen, damit einstmals die Arme in der Schreibmaschine nicht verklemmten? So unterziehen wir uns der Konditionierung, um mit dem Technischen hantieren zu können. Bedienungsanleitungen lenken unser Handeln. Der Mensch als User wird zum „Automatenhirten“.[16]

[S]olange der Mensch nicht selbst nicht systemgerecht ‚funktioniert’, ist das System weiterhin von Dysfunktionalität bedroht. Der Mensch, ‚menschliches Versagen’, ist gleichsam ein Außerhalb des Systems im Zentrum des Systems selbst. Insofern enthält Technik immer die Tendenz, auch das Subjekt von Technik selbst als ‚Bestand’ in das System zu integrieren und zu einem fungiblen Objekt zu machen, es zu verdinglichen. [17]

VII

Gott ist wiedergekommen
In Gestalt eines Öltanks.

Du Häßlicher,
Du bist der Schönste!
Tue uns Gewalt an,
Du Sachlicher!

Und Du verfährst mit uns
Nicht nach Gutdünken, noch unerforschlich,
Sondern nach Berechnung.

Darum erhöre uns,
Und erlöse uns von dem Übel des Geistes
Im Namen der Elektrifizierung,
Der Ratio und der Statistik!
[18]

Im Fragen nach der Technik haben wir versucht, das Technische zu umkreisen und den sozio-technischen Raum zu durchmessen. Dabei haben wir einige Male aufgesetzt, sind aufgeschrammt und haben dabei zumindest an der Oberfläche gekratzt. Worin nun liegt der heuristische Mehrwert dieses Blindflugs? Soviel ist offenbar geworden, daß sich das Technische nur im Verhältnis zum Sozialen denken läßt, und ihr Verhältnis in einem wechselseitigen Bedingen besteht. Dieses Verhältnis, so scheint sich abzuzeichnen, wird nicht immer erkannt und das Technische fraglos zu Mittel und Neutrum erklärt. Ob dieser Aspekt des Verschleierns dem Technischen zu eigen ist, bleibt offen und bedenkenswert.

Our technologies […] speak silently, covertly, and are seldom seen as central to political or cultural discourse. [19]

Das Technische trägt Werte in sich. Wessen Werte dies sind, ist die zu stellende Frage. Insbesondere die Rolle des Technischen im Flechtwerk von Politik und Ökonomie sollte tiefere Analyse erfahren und hierbei erörtert werden, inwieweit politische Entscheidungen einer Ingenieursperspektive unterliegen und von technisch-wirtschaftlichen Überlegungen abhängen. Das alles soll und kann gar nicht dazu führen, das Technische per se zu verdammen. Das Technische gehört zu unserer Welt, ist eine unserer Lebensformen und nicht nur faktisch, sondern grundlegend nicht weg zu denken. Anderseits gilt es, nicht der Hybris zu verfallen, daß im Technischen aller Probleme Lösung liegt. Denn dieses ist dialektisch wie alles menschliche Handeln und bringt Effekte mit sich, die den sozio-politischen Rahmen, die gesellschaftlichen Lebensverhältnisse in radikaler und unwiderruflicher Weise verändern können. Ist unsere Technokultur von der Tendenz gezeichnet, sozio-politische Themen auf technische zu reduzieren, dann lautet die entscheidende Frage, ob die technische Entwicklung letztlich ein Zweck in sich selbst sein darf, ob Effizienz über Ziele herrschen sollte und alles in der Welt zu einem Objekt menschlicher Vernutzung zu reduzieren sei. Mit einer Totalisierung des Technischen wird allem anderen die Lebensluft geraubt, und es bleibt zu bedenken, was verloren ginge im Zuge einer solchen Reduktion der Weltauslegung und Reifikation des menschlichen Selbstverständnisses.

Schon der technisch vernarrte Bacon hat auf die Gefährlichkeit solcher Absolutsetzung hingewiesen, als er sinngemäß schriebt: „Technik heißt, auf ein tieferes Verständnis unseres Tuns verzichten und das tun, was funktioniert.“ Die in unserer Ära verbreitete Vorstellung, daß das Technische sinnstiftend sein kann und in seinem Bereich die Fragen beantwortet werden, welche das Leben an uns stellt, ist irrig. Die technischen Be-Schreibungen der Welt reichen nicht hin, weil zu kurz greifen. Denn „[d]as bloß technische Denken der kleinen Schritte […] verdeckt die Tatsache, dass in diesem Denkformat der Rahmen des eigenen Lebens und Tuns nicht bedacht werden kann.“[20] Die Fragen nach Freiheit, Verantwortung, Risiko und Mitbestimmung stehen auch zukünftig zur Erörterung. Und diese kann nur vollzogen werden, wenn wir uns die Pluralität der Weltzugänge offen halten und das Denken „sub specie machinae“[21] nicht zur Zentralperspektive erklären. Denn dieses hieße nichts anderes als das Entgleiten des Menschseins im Sinne des Denkens an den Menschen.

„Ach“, sagte die Maus. „Die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du mußt nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie. [22]

Anmerkungen

[1] NIETZSCHE, Friedrich: Menschlich, Allzumenschliches; II. S. 278.

[2] FISCHER, S. 9.

[3] BARBOUR, S. 3.

[4] POSTMAN, S. 13.

[5] CHARGAFF, S. 24.

[6] TILES / OBERDIEK, S. 111.

[7] Ebd., S. 28.

[8] BACON, S. 43.

[9] CHARGAFF, S. 21.

[10] JONAS, S. 77.

[11] WITTGENSTEIN,Ludwig: Über Gewißheit (1969); in: Schriften 8; Frankfurt / Main 1971; § 132.

[12] WALDENFELS, S. 203.

[13] Zitiert nach WANDSCHNEIDER, S. 87.

[14] MÜLLER, Heiner: Werke 3 – Die Stücke 1; Frankfurt / Main 2000; S. 38.

[15] HEIDEGGER 1955, S. 523.

[16] Vgl. ANDERS

[17] WANDSCHNEIDER, S. 123.

[18] BRECHT, Bertold: 700 Intellektuelle beten einen Öltank an. Zitiert nach: www.sozialistische-klassiker.org/Brecht/ Brecht15html.

[19] TILES / OBERDIEK, S. 125.

[20] STEKELER-WEITHOFER, S. 68.

[21] RAPP, S. 70.

[22] KAFKA, Franz: Kleine Fabel. In: Kafka. Werke. Bd. 1. Dreieich 2000, S. 275.

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