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Erschienen in: Ausgabe #5 vom Januar 2006


von Ramona Krons

Die produzierte Weiblichkeit.

Frauen in Grafiken der Französischen Revolution

Ramona Krons

Am Weib erweist sich, dass die menschliche Natur, durchaus nicht so klar zu bestimmen ist, wie es der aufklärerische Optimismus glauben machte, und dass die 'ewig gültigen’, weil eben der menschlichen Natur beruhenden Ordnungsprinzipien der neuen Gesellschaft durchaus unterschiedliche Interpretationen erlaubten.[1]

Die Inszenierung und die damit verbundene Konstitution einer neuen Gemeinschaft zeigt sich zur Zeit der Französischen Revolution auf verschiedene Art und Weise: u.a. in Form von Festen und in einer massiven Bildpropaganda – der Darstellung der Frau wurde in den Grafiken um und nach 1789 besondere Aufmerksamkeit gewidmet: Ihre Rolle in der neuen Gemeinschaft wurde mit verfremdeten Mitteln, gar nicht oder handlungsanweisend dargestellt. So wurden in dieser Zeit der Umbrüche mit Hilfe der Bildmotive der „kämpfenden“, welches negativ und überwiegend karikiert dargestellt wurde, und der „opferbereiten“ Frau, welches als einziges positives Vor-bild für die politisch handelnden Bürgerinnen dargestellt wurde, zwei Handlungsmuster entworfen, die den Frauen auf anschauliche Weise vermitteln sollten, wie ein weibliches Mitglied der französischen Bevölkerung am öffentlichen Leben teilnehmen sollte, ohne die Grenzen der unter anderem von Rousseau entworfenen Weiblichkeitsideale zu verletzen – und wie eben nicht. So entschied die Bildreportage der Französischen Revolution mit der Auswahl aus den sich überstürzenden Ereignissen, welche davon unwichtig und welche wichtig genug waren, um in das kollektive Gedächtnis einzugehen.

Ich setze voraus, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen. [2]

Der Unterschied zwischen den zwei Handlungsmuster entstand aus den unterschiedlichen Geschlechterkulturen und Weiblichkeitsidealen der Klassen – denn im Gegensatz zu den kämpferisch-aggressiv wirkenden „Frauen der Strassen“ stabilisieren die opferbereiten Revolutionärinnen die ideologische Hierarchie der Geschlechterordnung. Die „Frauen der Straßen“ sind zu Revolutionärinnen in ihrer vertrauten Lebenswelt der Straße, ohne in Konflikt mit der Geschlechterordnung ihrer Klasse zu kommen, geworden. Die Patriotin der gebildeten Stände hingegen stand in ihrer Entscheidung auf einen Scheideweg: Wie sollte sie an dem öffentlichen Leben – das niemals zuvor so aufregend und interessant gewesen war – teilnehmen, ohne die Grenzen ihrer „Natur“ zu verletzen? Das Weiblichkeitsideal der Aufklärung verinnerlicht, handelt sie in der bestehenden Geschlechterordnung und das ließ sich glänzend mit dem Weiblichkeitsideal der Konterrevolution vereinbaren.

Das Patriotische Schmuckopfer ...

... stellt das Ereignis vom 7. September 1789 dar, als 21 Künstlerinnen ihren persönlichen Schmuck in einem feierlichen Akt der Nationalversammlung überreichten. Sie wollten damit die Staatskasse vor dem drohenden Bankrott bewahren und so die Revolution retten. In der Mitte der Grafik stehen die weiß gekleideten Damen vor der Rednertribüne der Nationalversammlung. Eine der Frauen überreicht die sich in einem Kästchen befindende Schmuckspende einer männlichen Figur, die hinter dem Rednerpult steht. Um dieses herum erschließen sich stadionartig Ränge, die von männlichen Mitgliedern der Nationalversammlung gefüllt sind. Die Schmuckspende ist sehr theatralisch inszeniert. Die dargestellten Frauen handeln hier in der vorgegebenen Geschlechterordnung der Aufklärung: Sie übertragen die in der privaten Sphäre der Familie eingeübten Tugenden des Opfers und des Selbstopfers auf die politische Ebene und entsprechen damit dem imaginär-entworfenen Bild der „bonne bourgeoise“.

Rousseau-Derrida: Geschlecht als ursprüngliches Supplement

Die Darstellung der opferbereiten Frauen im „Patriotischen Schmuckopfer“ ist damit ein Angriff auf jegliche Form der Spur in der Interpretation von Derrida. Sie zeigt durch eine angebliche Präsenz der Weiblichkeit eine Struktur der Austreibung der Ur-Spur und des ursprünglichen Supplements.

In Wirklichkeit ist die Spur der absolute Ursprung des Sinns im allgemeinen; was aber bedeutet, um es noch einmal zu betonen, dass es einen absoluten Ursprung des Sinns im allgemeinen nicht gibt. Die Spur ist die Differenz, in welcher das Erscheinen und die Bedeutung ihren Anfang nehmen.[3]

Die Spur ähnelt somit in ihrer Struktur dem ursprünglichen Supplement, da beide aus einer immer schon fehlenden Präsenz abgeleitet werden. Das ursprüngliche Supplement ist damit eine immer schon bestehende ursprüngliche Verschiebung, die dem Wesen von Mann und Frau, sowie Signifikaten und Signifikanten innewohnt. Das Signifikat ist sozusagen die „natürliche Ordnung“ der Geschlechter (oder auch das Wesen des Mannes), die stets von dem differentiellen Bedeutungen setzenden und ent-setzenden Spiel der Signifikanten, zum Beispiel der „List des Weibes“, bedroht wird.

[Die] Anlage der Geschlechter ergibt also, dass der stärkere Teil scheinbar der Herr sei, sich in Wirklichkeit aber dem schwächeren unterwerfe, nicht aus frivoler, galanter Gewohnheit und herablassender Großmut, sondern nach einem unabänderlichen Gesetz der Natur, die der Frau eine größere Leichtigkeit mitgibt, die Begierden zu erregen, als dem Mann sie zu befriedigen und ihn so, auch wenn er bereit ist, vom Belieben der Frau abhängig macht und ihn zwingt, seinerseits danach zu trachten, ihr zu gefallen, um zu erreichen, dass sie ihn den Stärkeren sein lässt.[4]

Um dieser Verfälschung der Natur durch die Frau entgegenzuwirken, entwickelt unter anderem Rousseau im „Emile“ eine „natürliche Ordnung“ der Geschlechter, die dem Mann und besonders der Frau Handlungsstrukturen in der privaten und politischen Sphäre vorgibt: „Aus dieser Verschiedenheit entsteht der erste benennbare Unterschied in ihren gegenseitigen Beziehungen. Das eine muss aktiv und stark sein, das andere passiv und schwach[...].“[5] Rousseaus Geschlechterentwurf ist androzentrisch, das heißt auf den Mann hin orientiert. Der Mann hat die Bestimmung, ein guter Bürger zu werden, die Frau hingegen hat die Funktion, die Bestimmung des Mannes zu befördern. Im Zuge der Aufspaltung des Ein-Geschlecht-Modells hin zum Zwei-Geschlechter-Modell folgt somit nicht einer von Mann und Frau geteilten Form von Bürgerlichkeit, sondern die In-Dienst-Stellung der Frau für die humane und zivile Vervollkommnung des Mannes, wofür sie allerdings unerlässlich ist. Die Natur der Frau ist demnach, nur eine Funktion zu sein, aber keine Bestimmung zu haben, die viele von ihnen auch akzeptierten: „Die Unterordnung, die untrennbar von meinem Geschlecht ist, hat jedoch keineswegs in mir das Gefühl der Freiheit, des Musters und des Patriotismus erstickt.“ [6] Der Rückgriff auf die Natur befördert im Falle des Mannes Ziele der politischen Emanzipation: nämlich Freiheit und wechselseitige Anerkennung im Konzept der Gleichheit. Im Falle der Frau wird jedoch dasjenige als ihre Natur festgeschrieben, was sie im Rahmen des bürgerlichen Staates als Rolle übernehmen soll, nämlich eine sich ihrer ausschließlichen Pflichten als Gattin und Mutter bewussten Frau zu sein. Die Frauen im „Patriotischem Schmuckopfer“ handelten in der entworfenen „natürlichen Ordnung“ von Rousseau.

„Das patriotische Schmuckopfer“ als Bildner der Weiblichkeits-Funktion

Voraussetzung für die Ich-Konstitution in der Spiegelphase ist die Intervention eines Dritten, eines Anderen. Wesentlich ist die Anerkennung des Bildes im Blick des Anderen. Das blickende Subjekt ist immer auch der Instanz des Blickes eines anderen unterworfen. [7]

Mit dem theatralischen Auftritt in der Nationalversammlung der 21 Künstlerinnen inszenierte Pierre-Gabriel Berthault ein patriotisches Handlungsmuster für die Frauen der „bonne bourgeoise“, von denen die meisten die von Rousseau im „Emile“ am einprägsamsten formulierten Weiblichkeitsideale der Aufklärung schon längst verinnerlicht hatten. Mit der Übertragung auf den Staat erfuhren ihre in der privaten Sphäre der Familie eingeübten Tugenden der Selbstverleugnung und des Opfers eine politische Bedeutungssteigerung zu heroischer Größe. „Sophie muss Frau sein, so wie Emile Mann ist, das heißt, sie muss alles besitzen, was die Konstitution ihrer Gattung und ihres Geschlechts entspricht, um ihren Platz in der physischen und geistigen Ordnung ausfüllen zu können.“[8] Da die Bildsprache eine männliche ist, weil Frauen in den Betrieben meist nur Zu- und Hilfsarbeiten ausführten, wird in Grafiken ein Bild der Frau entworfen, das eine imaginäre Funktion erfüllt, die der männlichen symbolischen Ordnung unterworfen und dienlich ist - so geschieht es auch im „Patriotischen Schmuckopfer“: Zum einen wird der Frau vorgeführt, wie sie am öffentlichen, zur der Zeit vorrangig politischen Leben teilnehmen konnte, ohne die Grenzen ihrer Weiblichkeit zu verletzen, die sie in der privaten Sphäre der Familie eingeübt hatte, zum anderen wird ihr eine Weiblichkeits-Funktion suggeriert, die die „bonne bourgeoise“ verkörpern sollte. Die Patriotin der gebildeten Stände konnte sich mit diesem Bild identifizieren: So rief die Goldschmiedin Madame Regal bereits nach zwei Wochen zu einer weiteren Schmuckspende auf: „Unser Geschlecht ist zwar von den schwierigen Aufgaben ausgeschlossen, aber es ist ihm erlaubt, zwei sehr interessante Aufgaben wahrzunehmen: die Ausübung der Tugenden der Einfühlung und des heroischen Opfers.“[9] Die Frau erkennt sich in dieser Grafik wieder, wie das Kind im Spiegel.[10] Das Kind zeigt eine Jubelreaktion, sofern es das Bild als seine eigene Widerspiegelung entdeckt. Aus dieser einfachen Tatsache leitet Lacan die Entstehung des Ichs ab: „Man kann das Spiegelstadium als eine Identifikation verstehen [...].“[11] Eben diese Jubelreaktion ist bei den Frauen der „bonne bourgeoise“ auch zu erkennen, wenn sie sich mit den Gesten des „Patriotischen Schmuckopfers“ identifizieren und nach der produzierten Weiblichkeits-Funktion in den Grafiken handeln. Die Grafiken der Französischen Revolution inszenierten damit nicht nur Weiblichkeit, sondern vor allem eine Ordnung, die Männern und vor allem Frauen bildlich zeigte, welche Rolle sie in der sich neu konstituierenden Gemeinschaft einnehmen sollten.

Anmerkungen

[1] BAXMANN, S. 111.

[2] FOUCAULT, S. 10.

[3] DERRIDA, S. 114.

[4] ROUSSEAU, S. 169.

[5] Ebd., S. 166.

[6] SCHMIDT-LINSENHOFF, S. 441.

[7] Psychoanalytische Voraussetzungen zur Bestimmung von Weiblichkeit und Geschlechterdifferenz. Freud-Lacan-Rose; in: EIBELMAYR, S. 25.)

[8] ROUSSEAU, S. 165.

[9] SCHMIDT-LINSENHOFF, S. 426.

[10] Vgl. LACAN, S. 63.

[11] Ebd., S. 64.

Literatur

BAXMANN, Inge: Die Feste der Französischen Revolution. Inszenierung von Gesellschaft als Natur. Weinheim-Basel 1989.

DERRIDA, Jacques: Grammatologie. Frankfurt a. Main 1983.

DOYÉ, Sabine / Heinz, Marion / Kuster, Friederike (Hg.): Philosophische Geschlechtertheorie. Ausgewählte Texte von der Antike bis zur Gegenwart. Stuttgart 2002.

EIBELMAYR, Silvia: Die Frau als Bild. Der weibliche Körper in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Berlin 1993.

FOUCAULT, Michel: Die Ordnung des Diskurses. 8. Auflage, Frankfurt a. Main 2001.

HELD, Jutta (Hrsg.): Frauen in Frankreich des 18. Jahrhunderts. Amazonen, Mütter, Revolutionärinnen. Hamburg 1989.

HONEGGER, Claudia: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaft vom Menschen und das Weib 1750-1850. Frankfurt / New York 1991.

HUNT, Lynn: Symbole der Macht. Macht der Symbole. Frankfurt a. Main 1989.

LACAN, Jacques: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint. In: ders.: Schriften. Weinheim und Berlin 1986.

ROUSSEAU, Jean-Jacques: Emile oder Über die Erziehung (1762). Fünftes Buch. Sophie oder die Frau. In: DOYÉ, S.165-190.

SCHMIDT-LINSENHOFF, Viktoria (Hg.): Sklavin oder Bürgerin? Französische Revolution und neue Weiblichkeit 1760-1830. Aussetllungskatalog. Historisches Museum Frankfurt a. Main 1989.