von Ramona Krons
Die produzierte Weiblichkeit.
Frauen in Grafiken der Französischen Revolution
Ramona Krons
Am Weib erweist sich, dass die menschliche Natur, durchaus nicht
so klar zu bestimmen ist, wie es der
aufklärerische Optimismus glauben
machte, und dass die 'ewig gültigen’, weil eben der menschlichen
Natur beruhenden Ordnungsprinzipien der neuen Gesellschaft durchaus unterschiedliche
Interpretationen
erlaubten.[1]
Die Inszenierung und die damit verbundene Konstitution einer neuen Gemeinschaft
zeigt sich zur Zeit der Französischen Revolution auf verschiedene Art und
Weise: u.a. in Form von Festen und
in einer massiven Bildpropaganda –
der Darstellung der Frau wurde in den Grafiken um und nach 1789 besondere
Aufmerksamkeit
gewidmet: Ihre Rolle in der neuen Gemeinschaft wurde mit verfremdeten Mitteln,
gar nicht oder
handlungsanweisend dargestellt. So wurden in dieser Zeit der
Umbrüche mit Hilfe der Bildmotive der
„kämpfenden“, welches
negativ und überwiegend karikiert dargestellt wurde, und der
„opferbereiten“
Frau, welches als einziges positives Vor-bild für die politisch handelnden
Bürgerinnen dargestellt wurde, zwei Handlungsmuster entworfen, die den
Frauen auf anschauliche Weise vermitteln
sollten, wie ein weibliches Mitglied
der französischen Bevölkerung am öffentlichen Leben teilnehmen
sollte, ohne die Grenzen der unter anderem von Rousseau entworfenen Weiblichkeitsideale
zu verletzen – und wie
eben nicht. So entschied die Bildreportage der
Französischen Revolution mit der Auswahl aus den sich
überstürzenden
Ereignissen, welche davon unwichtig und welche wichtig genug waren, um in das
kollektive
Gedächtnis einzugehen.
Ich setze voraus, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des
Diskurses zugleich
kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar
durch gewisse
Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren
des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar
Ereignishaftes zu bannen,
seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen. [2]
Der Unterschied zwischen den zwei Handlungsmuster entstand aus den unterschiedlichen
Geschlechterkulturen und Weiblichkeitsidealen der Klassen – denn im Gegensatz
zu den kämpferisch-aggressiv
wirkenden „Frauen der Strassen“
stabilisieren die opferbereiten Revolutionärinnen die ideologische
Hierarchie
der Geschlechterordnung. Die „Frauen der Straßen“ sind zu
Revolutionärinnen in
ihrer vertrauten Lebenswelt der Straße, ohne
in Konflikt mit der Geschlechterordnung ihrer Klasse zu kommen,
geworden. Die
Patriotin der gebildeten Stände hingegen stand in ihrer Entscheidung auf
einen Scheideweg: Wie
sollte sie an dem öffentlichen Leben – das
niemals zuvor so aufregend und interessant gewesen war –
teilnehmen, ohne
die Grenzen ihrer „Natur“ zu verletzen? Das Weiblichkeitsideal der
Aufklärung
verinnerlicht, handelt sie in der bestehenden Geschlechterordnung
und das ließ sich glänzend mit dem
Weiblichkeitsideal der Konterrevolution
vereinbaren.
Das Patriotische Schmuckopfer ...
... stellt das Ereignis vom 7. September 1789 dar, als 21 Künstlerinnen
ihren
persönlichen Schmuck in einem feierlichen Akt der Nationalversammlung
überreichten. Sie wollten damit die
Staatskasse vor dem drohenden Bankrott
bewahren und so die Revolution retten. In der Mitte der Grafik stehen die
weiß
gekleideten Damen vor der Rednertribüne der Nationalversammlung. Eine der
Frauen überreicht
die sich in einem Kästchen befindende Schmuckspende
einer männlichen Figur, die hinter dem Rednerpult steht.
Um dieses herum
erschließen sich stadionartig Ränge, die von männlichen Mitgliedern
der
Nationalversammlung gefüllt sind. Die Schmuckspende ist sehr theatralisch
inszeniert. Die dargestellten Frauen
handeln hier in der vorgegebenen Geschlechterordnung
der Aufklärung: Sie übertragen die in der privaten
Sphäre der
Familie eingeübten Tugenden des Opfers und des Selbstopfers auf die politische
Ebene und
entsprechen damit dem imaginär-entworfenen Bild der „bonne
bourgeoise“.
Rousseau-Derrida: Geschlecht als ursprüngliches Supplement
Die Darstellung der
opferbereiten Frauen im „Patriotischen Schmuckopfer“
ist damit ein Angriff auf jegliche Form der Spur in
der Interpretation von Derrida.
Sie zeigt durch eine angebliche Präsenz der Weiblichkeit eine Struktur
der
Austreibung der Ur-Spur und des ursprünglichen Supplements.
In Wirklichkeit ist die Spur der
absolute Ursprung des Sinns im allgemeinen;
was aber bedeutet, um es noch einmal zu betonen, dass es einen absoluten
Ursprung
des Sinns im allgemeinen nicht gibt. Die Spur ist die Differenz, in welcher
das Erscheinen und die
Bedeutung ihren Anfang nehmen.[3]
Die Spur ähnelt somit in ihrer Struktur dem
ursprünglichen Supplement,
da beide aus einer immer schon fehlenden Präsenz abgeleitet werden. Das
ursprüngliche Supplement ist damit eine immer schon bestehende ursprüngliche
Verschiebung, die dem Wesen von
Mann und Frau, sowie Signifikaten und Signifikanten
innewohnt. Das Signifikat ist sozusagen die „natürliche
Ordnung“
der Geschlechter (oder auch das Wesen des Mannes), die stets von dem differentiellen
Bedeutungen
setzenden und ent-setzenden Spiel der Signifikanten, zum Beispiel
der „List des Weibes“, bedroht wird.
[Die] Anlage der Geschlechter ergibt also, dass der stärkere Teil scheinbar
der Herr
sei, sich in Wirklichkeit aber dem schwächeren unterwerfe, nicht
aus frivoler, galanter Gewohnheit und
herablassender Großmut, sondern
nach einem unabänderlichen Gesetz der Natur, die der Frau eine
größere
Leichtigkeit mitgibt, die Begierden zu erregen, als dem Mann sie zu befriedigen
und ihn so,
auch wenn er bereit ist, vom Belieben der Frau abhängig macht
und ihn zwingt, seinerseits danach zu trachten, ihr
zu gefallen, um zu erreichen,
dass sie ihn den Stärkeren sein lässt.[4]
Um dieser
Verfälschung der Natur durch die Frau entgegenzuwirken, entwickelt
unter anderem Rousseau im „Emile“
eine „natürliche Ordnung“
der Geschlechter, die dem Mann und besonders der Frau Handlungsstrukturen in
der privaten und politischen Sphäre vorgibt: „Aus dieser Verschiedenheit
entsteht der erste benennbare
Unterschied in ihren gegenseitigen Beziehungen.
Das eine muss aktiv und stark sein, das andere passiv und
schwach[...].“[5]
Rousseaus Geschlechterentwurf ist androzentrisch, das heißt auf den Mann
hin
orientiert. Der Mann hat die Bestimmung, ein guter Bürger zu werden,
die Frau hingegen hat die Funktion, die
Bestimmung des Mannes zu befördern.
Im Zuge der Aufspaltung des Ein-Geschlecht-Modells hin zum
Zwei-Geschlechter-Modell
folgt somit nicht einer von Mann und Frau geteilten Form von Bürgerlichkeit,
sondern die In-Dienst-Stellung der Frau für die humane und zivile Vervollkommnung
des Mannes, wofür sie
allerdings unerlässlich ist. Die Natur der Frau
ist demnach, nur eine Funktion zu sein, aber keine Bestimmung zu
haben, die
viele von ihnen auch akzeptierten: „Die Unterordnung, die untrennbar von
meinem Geschlecht ist,
hat jedoch keineswegs in mir das Gefühl der Freiheit,
des Musters und des Patriotismus erstickt.“ [6] Der
Rückgriff auf
die Natur befördert im Falle des Mannes Ziele der politischen Emanzipation:
nämlich
Freiheit und wechselseitige Anerkennung im Konzept der Gleichheit.
Im Falle der Frau wird jedoch dasjenige als ihre
Natur festgeschrieben, was
sie im Rahmen des bürgerlichen Staates als Rolle übernehmen soll,
nämlich eine sich ihrer ausschließlichen Pflichten als Gattin und
Mutter bewussten Frau zu sein. Die Frauen
im „Patriotischem Schmuckopfer“
handelten in der entworfenen „natürlichen Ordnung“ von
Rousseau.
„Das patriotische Schmuckopfer“ als Bildner der
Weiblichkeits-Funktion
Voraussetzung für die Ich-Konstitution in der Spiegelphase ist die
Intervention
eines Dritten, eines Anderen. Wesentlich ist die Anerkennung des Bildes im Blick
des Anderen. Das
blickende Subjekt ist immer auch der Instanz des Blickes eines
anderen unterworfen. [7]
Mit
dem theatralischen Auftritt in der Nationalversammlung der 21 Künstlerinnen
inszenierte Pierre-Gabriel Berthault
ein patriotisches Handlungsmuster für
die Frauen der „bonne bourgeoise“, von denen die meisten die von
Rousseau im „Emile“ am einprägsamsten formulierten Weiblichkeitsideale
der Aufklärung schon
längst verinnerlicht hatten. Mit der Übertragung
auf den Staat erfuhren ihre in der privaten Sphäre der
Familie eingeübten
Tugenden der Selbstverleugnung und des Opfers eine politische Bedeutungssteigerung
zu
heroischer Größe. „Sophie muss Frau sein, so wie Emile Mann
ist, das heißt, sie muss alles
besitzen, was die Konstitution ihrer Gattung
und ihres Geschlechts entspricht, um ihren Platz in der physischen und
geistigen
Ordnung ausfüllen zu können.“[8] Da die Bildsprache eine männliche
ist, weil
Frauen in den Betrieben meist nur Zu- und Hilfsarbeiten ausführten,
wird in Grafiken ein Bild der Frau entworfen,
das eine imaginäre Funktion
erfüllt, die der männlichen symbolischen Ordnung unterworfen und dienlich
ist - so geschieht es auch im „Patriotischen Schmuckopfer“: Zum
einen wird der Frau vorgeführt,
wie sie am öffentlichen, zur der Zeit
vorrangig politischen Leben teilnehmen konnte, ohne die Grenzen ihrer
Weiblichkeit
zu verletzen, die sie in der privaten Sphäre der Familie eingeübt
hatte, zum anderen wird
ihr eine Weiblichkeits-Funktion suggeriert, die die
„bonne bourgeoise“ verkörpern sollte. Die
Patriotin der gebildeten
Stände konnte sich mit diesem Bild identifizieren: So rief die Goldschmiedin
Madame
Regal bereits nach zwei Wochen zu einer weiteren Schmuckspende auf: „Unser
Geschlecht ist zwar von den
schwierigen Aufgaben ausgeschlossen, aber es ist
ihm erlaubt, zwei sehr interessante Aufgaben wahrzunehmen: die
Ausübung
der Tugenden der Einfühlung und des heroischen Opfers.“[9] Die Frau
erkennt sich in
dieser Grafik wieder, wie das Kind im Spiegel.[10] Das Kind
zeigt eine Jubelreaktion, sofern es das Bild als seine
eigene Widerspiegelung
entdeckt. Aus dieser einfachen Tatsache leitet Lacan die Entstehung des Ichs
ab:
„Man kann das Spiegelstadium als eine Identifikation verstehen [...].“[11]
Eben diese Jubelreaktion ist bei
den Frauen der „bonne bourgeoise“
auch zu erkennen, wenn sie sich mit den Gesten des „Patriotischen
Schmuckopfers“
identifizieren und nach der produzierten Weiblichkeits-Funktion in den Grafiken
handeln. Die
Grafiken der Französischen Revolution inszenierten damit nicht
nur Weiblichkeit, sondern vor allem eine Ordnung,
die Männern und vor allem
Frauen bildlich zeigte, welche Rolle sie in der sich neu konstituierenden Gemeinschaft
einnehmen sollten.
Anmerkungen
[1]
BAXMANN, S. 111.
[2] FOUCAULT, S. 10.
[3] DERRIDA, S.
114.
[4] ROUSSEAU, S. 169.
[5] Ebd., S. 166.
[6] SCHMIDT-LINSENHOFF, S. 441.
[7] Psychoanalytische Voraussetzungen
zur Bestimmung von Weiblichkeit und Geschlechterdifferenz.
Freud-Lacan-Rose; in: EIBELMAYR, S. 25.)
[8] ROUSSEAU, S. 165.
[9] SCHMIDT-LINSENHOFF, S. 426.
[10] Vgl. LACAN, S. 63.
[11] Ebd., S. 64.
Literatur
BAXMANN, Inge: Die Feste der
Französischen Revolution. Inszenierung von
Gesellschaft als Natur. Weinheim-Basel 1989.
DERRIDA, Jacques: Grammatologie. Frankfurt a. Main 1983.
DOYÉ,
Sabine / Heinz, Marion / Kuster, Friederike (Hg.): Philosophische
Geschlechtertheorie. Ausgewählte Texte von der
Antike bis zur Gegenwart.
Stuttgart 2002.
EIBELMAYR, Silvia: Die Frau als Bild. Der
weibliche Körper in der Kunst
des 20. Jahrhunderts. Berlin 1993.
FOUCAULT, Michel:
Die Ordnung des Diskurses. 8. Auflage, Frankfurt a. Main 2001.
HELD, Jutta (Hrsg.): Frauen in
Frankreich des 18. Jahrhunderts. Amazonen, Mütter,
Revolutionärinnen. Hamburg 1989.
HONEGGER, Claudia: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaft vom Menschen
und das Weib
1750-1850. Frankfurt / New York 1991.
HUNT, Lynn: Symbole der Macht. Macht der Symbole.
Frankfurt a. Main 1989.
LACAN, Jacques: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie
uns
in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint. In: ders.: Schriften. Weinheim
und Berlin 1986.
ROUSSEAU, Jean-Jacques: Emile oder Über die Erziehung (1762). Fünftes
Buch. Sophie oder
die Frau. In: DOYÉ, S.165-190.
SCHMIDT-LINSENHOFF, Viktoria (Hg.): Sklavin oder
Bürgerin? Französische
Revolution und neue Weiblichkeit 1760-1830. Aussetllungskatalog. Historisches
Museum Frankfurt a. Main 1989.